Die Lichter in der Turnhalle der Kita Mittelerde waren schon aus und es wurde allmählich still in den Besucherreihen. Nur wenige Eltern versuchten noch die Stative für ihre Kameras zu platzieren, um die Glanzleistung der Sprösslinge fürs Portfolio aufzuzeichnen. Besonders penetrant war dabei eine Frau mit Kurhaarfrisur, die die drei Reihen vor ihr mit Badetüchern belegen wollte, damit ihre Aufnahme perfekt werden konnte. Nach einer Reihe Diskussionen wurde es Konrad zu bunt und er bat die Dame ihn nach draußen zu begleiten, wobei sie laut aufheulte, wie ein eigenartig einsamer Dieselgenerator. Danach herrschte Stille und der Vorhang öffnete sich. Maria und Josef betraten zögerlich die Bühne. „Wohin müssen wir zuerst?“ flüsterte Maria der Lisa am Bühnenrand zu. Die war etwas verdutzt, weil nur ein anderer Charakter auf der Bühne war, und zwar der Herbergsvater Nicht-Jaiden. „Na zur Herberge müsst ihr gehen.“ Mit kaum gesteigerter Sicherheit gingen das hochheilige Pärchen zum Nicht-Jaiden. „Hallo, wir suchen eine Unterkunft, weil meine Frau ist ziemlich schwanger.“ „Nein!“ entgegnete der Herbergsvater, als wäre es das wichtigste Wort der Darstellung. „Geht in den Stall, da liegt Heu!“ Maria schaute ihren Josef an. Der wusste auch nichts Aufmunterndes zu sagen und zuckte mit den Schultern. „Okay.“ Szenenwechsel. Die Herbergsrequisite wurde durch die Stallszenerie ersetzt. Maria und Josef setzten sich auf den Boden, während sich ein Ochse und ein absurd langer Esel dazustellten. Eines der Kinder im Esel musste niesen, und ein Eselviertel schwankte bedenklich, konnte sich aber wieder fassen. „Gesundheit.“ Sagte der Ochse. Ein Engel trat herein und flüsterte Maria etwas ins Ohr. „Josef, ich kriege jetzt ein Kind. Am besten wir legen es ins Heu, sonst bekommt es eine Grippe.“ Gab Maria zu Protokoll und kramte mühsam die Puppe aus ihrem Kostüm. Ein paar Engelchen kamen auf die Bühne. Eigentlich war der Plan gewesen, sie etwas im Chor singen zu lassen, aber das wollte nicht so recht funktionieren und so einigte man sich darauf, dass die Engel auf die Puppe deuteten und verkündeten: „Das ist der Jesus.“ Danach erlosch das Licht auf der Bühne und läutete die wohlverdiente Pause ein. Eine ganze Weile passierte nichts, während das Getuschel hinter der Bühne lauter wurde. Das Getuschel wurde zu Gesprächen und kurz darauf fast zum Streit, bis es aus einer Erzieherin herausbrach. „Mein Gott, Lisa, dann mach halt selbst das Licht an! Du siehst doch, dass das nicht klappt! Der kommt da halt nicht dran. Durchs gut zureden werden die Arme auch nicht länger.“ Das Licht in der Turnhalle ging an. In den hinteren Reihen hörte man zwei Personen kurz aufschreien. Elias Heltrop erkannte sofort, dass es sich um Vlads Eltern handeln musste, so blass wie die waren. Einige Zuschauer strömten nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Nach einiger Zeit kam ein kleines Mädchen zu Elias Heltrop gerannt. „Draußen ist der Weihnachtsmann! Der ist zwar ein bisschen komisch und zu zweit, aber das ist trotzdem so toll.“ Elias Heltrop erinnerte sich nicht daran, dass ein Weihnachtsmann engagiert worden war. Sicherheitshalber ging er nach draußen, um nach dem Rechten zu sehen, doch der Mann vom lokalen AFD-Verband war glücklicherweise nicht aufgetaucht. Stattdessen war da eine Glühweinbude. Nein es war explizit keine Glühweinbude, wie das große Schild verriet. Es war eine Kinderpunschbude. Die Verkäufer führten Kinderpunsch, Kinderpunsch mit Schuss und puren Schuss. Elias Heltrop trat an den Stand heran. Sofort erkannt er Dr. Kornelius Demtröder, Erfinder des Universalspitzers für Stiftskirchen. Dieser pries seine winterliche Getränkekreation an. „Wer möchte noch Rehragoutraki? Frisch zubereitet aus dem Maggi-Fix für Rehragout. Lecker, lecker und gut für die Verdauung.“ Elias Heltrop würde ihn mit dem Blödsinn gewähren lassen, schließlich war Weihnachten. Lisas Stimme hallte über den Platz: „Es geht jetzt weiter, sonst wird es für die Kleinen zu spät!“ Nach und nach strömten die Zuschauer zurück in die Turnhalle Mittelerdes. Nun kam der heikle Part: Die drei Weisen aus dem Morgenland kamen, um das Kind zu begutachten. Genaugenommen waren es zwei Weise und ein komödiantisch großer, sprechender Hut. Man sah die Abscheu in Matthäus Augen, als er sich der Jesuspuppe näherte und sprach: „Die Sterne wiesen uns den Weg zum neugeborenen Messias, der da hinwegnimmt die Sünde der Welt. Und wahrlich Sünde brachten wir über uns! Seht her, wie sie den Heiland verlachen.“ Matthäus riss die Puppe aus der Krippe und streckte sie hoch über seinen Kopf, als wäre das eine seltsame Adaption vom König der Löwen. Zwei Personen im Publikum schlugen die Hände vors Gesicht. Das mussten dann wohl Matthäus Eltern sein. Das Mädchen, das immer so ruhig spielte, hatte keine Lust auf Matthäus katholisches Theater, schlüpfte aus ihrem Hut und versteckte Matthäus darin. „Euer Jesus ist ein gutes Kind. Wir haben hier ein bisschen Gold für euch. Den Rest hat der Matthäus leider hinter der Bühne genascht. Und wir müssen jetzt mal weiter.“ Sie zog den Matthäus im Hut von der Bühne. Damit war die Handlung des Krippenspiels schneller vorüber als ursprünglich geplant. Die Zuschauer wussten nicht so recht, wie sie reagieren sollten und so klatschten einige verlegen. Die Lisa trat auf die Bühne, dankte den Zuschauern und lobte die Kinder. Man musste es positiv sehen. Es war zu keiner Schlägerei gekommen und die Mordorkinder hatten ihre Belagerungswaffen nicht rechtzeitig fertigstellen können. Vielleicht gab es ja Hoffnung für die Kinder, dachte Elias Heltrop und freute sich sogar ein wenig auf das nächste Krippenspiel.